Die Sonntagspredigt vom 29. Juni 1997

Arthur Heilmann (Theologe):

Leben mit Todesmut

Liebe Freunde,

 

Wenn wir vom Tod sprechen, erschrecken wir. Was ist, wenn wir tot sind? Sind wir einfach nicht mehr da oder wird es einen Ort geben, an dem wir uns aufhalten? Wird Gott dort stehen und uns in seine liebenden Arme nehmen? Und wollen wir das überhaupt?

Wir haben Tote gesehen, echte und falsche. Die echten Toten haben uns anders berührt als die Filmtoten. Beide haben uns tief beeindruckt wie nichts sonst. Gleichzeitig wissen wir vom Tod und doch wissen wir nichts davon. Wir stellen Vermutungen auf und kommen zu keinem Ergebnis, weil wir nichts darüber sagen können. Wir kennen den Tod nicht. Wir kennen die Todesangst. Da fühlen wir uns besonders lebendig. Aber das Tot-Sein kann sich doch nicht so anfühlen, so voller Leben! Was wir fühlen, ist nicht der Todes ist die Todesangst.

Wir kennen das Gefühl, einen nahen, einen nächsten Menschen durch den Tod zu verlieren. Wir kennen diesen Schmerz, der uns vollkommen beherrscht und ausfüllt. Das Getrenntsein von diesem Menschen ist sehr schmerzvoll. Und wir fragen uns: Wo ist dieser Mensch? Wohin ist er gegangen? Er ist nicht ausgelöscht aus unserem Leben. Wir fühlen eine Verbindung, eine emotionale, einen gedankliche, eine freudige, eine traurige.

Wenn wir an unseren eigenen Tod denken, denken wir oft an Schmerzen, Krankheit, Quälerei, die Belastung, die wir für andere sind, die Angst, wie das Sterben sein wird, die Angst vor dem Unbekannten oder dem Nichts, das uns erwartet.

Wir stellen uns Kernfragen in diesen Momenten: Habe ich ein gutes Leben geführt? Habe ich geliebt? Habe ich getan, was ich tun wollte? Habe ich es richtig gemacht mit meinem Leben? Oder falsch? Und wir denken an unsere Wünsche und Sehnsüchte: Dinge, die wir nicht getan haben-Orte, die wir nicht gesehen haben - Menschen, von denen wir nicht geliebt wurden - Menschen, die wir nicht geliebt haben. Haben wir unser Leben voll gelebt, voll ausgekostet, haben wir es als sinnvoll empfunden?

Diese Fragen kennen wir. Wenn wir in uns hineinhören, stellen wir uns diese Fragen jeden Tag. Wir versinken darin und geben uns keine Antwort. Wir denken zwar manchmal: Dieses und jenes ist nicht in Ordnung. Das alles hätte ich besser machen können. Ich will nicht sterben mit diesem offenen Chaos meines Lebens. Ich will nicht so sein und nicht so. Wir erkennen, daß wir uns Lebensfragen gestellt haben, keine Todesfragen.

Das Leben ist hier. Es ist jetzt. Es will keine Antwort. Was war, ist endgültig vorbei, was sein wird, ist ganz ungewiß. Es gibt das Leben, und es ist jetzt. Es will sich leben, und es wird gelebt, jetzt, in jedem Fall jetzt. Wenn wir uns wehren, oder denken, wir leben es nicht wirklich, wir wollen alles anders, dann ist genau das unser Leben - jetzt. Laßt uns eintauchen und es er-leben!

Über unseren Tod können wir nichts sagen, wir haben ihn nicht erlebt. Wir können über unsere Ängste und Sehnsüchte sprechen, diese erleben wir jetzt. Und noch ein Gedanke. Sterben wir nicht in jedem Moment? Jetzt ist schon jetzt vorbei, es war jetzt und ist jetzt nicht mehr! Wir stehen im Zimmer, wir gehen durch die Tür, wir sind woanders. Der, der im Zimmer stand, und diesen Moment erlebt hat, erlebt jetzt etwas anderes. Der alte Zustand ist vorbei, endgültig. Vielleicht werden wir wieder in diesem Zimmer stehen, eines Tages, aber das Erleben wird ein Anderes sein. Und noch etwas fällt uns auf. Es gibt etwas, das immer da ist, egal wohin wir gehen, eine Essenz, die wir sind, in jedem Jetzt wir. In jedem Jetzt ein anderes Fenster, eine andere Aussicht, aber die Essenz des wir ist immer da - im Jetzt unseres Lebens, im Jetzt der Veränderung , im Jetzt unseres Todes.